Iris B. Sailer

11. Juli 2019

Wer kennt das nicht, du wachst morgens auf und fühlst dich wie erschlagen.

Waren deine Träume zu realistisch, was hast du bloß in der Nacht alles angestellt und jetzt sollst du auch noch den Tag gut gelaunt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht schaffen?

Und ja, du schaffst es, genauso wie jeden Tag. Du versorgst den Haushalt, bringst vielleicht die Kinder zur Kita oder Schule, rennst zur Arbeit, um nach einer vorgeschriebenen Anzahl von Stunden alle wieder einzusammeln, dir Sorgen und Nöte deiner Lieben anzuhören, kurz noch den Haushalt zu wuppen, vielleicht dich auch noch pflegerisch um deine Eltern oder Großeltern zu kümmern, um dann völlig erschöpft auf dem Sofa oder am besten gleich im Bett zu landen.

Für die Trauer um einen geliebten Menschen, oder die Trennung von einem (einst mal geliebten) Menschen zu verarbeiten bleiben da noch Millisekunden, bevor der teils unruhige Schlaf dich übermannt.

Alltag!

So sieht er bei vielen von uns aus. Ich bin da keine Ausnahme. Zwar sind meine Kinder mittlerweile erwachsen, doch Ansprechpartner bleibt man immer (zum Glück, das ist ja etwas Schönes und ich genieße es).
Und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, unter die Räder zu kommen, nicht jedem gerecht zu werden.

Wenn ich dann mal innehalte, kommt schon der Gedanke hoch, klar ich kann es nicht jedem recht machen, ABER mache ich es denn mir recht?

Was mache ich, damit es mir gut geht?

Oft habe ich dafür keine Zeit, keine Energie oder Lust mehr.

Also, was zum Henker kann ich ändern?

Von außen werden die Anforderungen nicht weniger, manchmal denke ich, sie werden noch mehr, überrollen mich, nehmen mich mit und schleudern mich wie in einem Flussbett von Stein zu Stein. Das erklärt auch meine blauen Flecken, denn in meiner schnellen Art, alles und jedem gerecht zu werden, dotze ich hier und da an die Bettkante, den Stuhl oder nehme meine Kücheninsel mit. Alles ganz normal. Heilt ja wieder.

Wirklich?

Oder verliere ich mich jeden Tag ein bisschen mehr?
Was also tun, um dem Gefühl des Ausgeliefertseins, dem Gefühl der Machtlosigkeit entgegen zu wirken?

Der erste Schritt für mich war, dies zu erkennen. Zu erkennen, dass ich nur noch funktioniere, agiere und eigentlich nicht mehr wirklich lebe. Als meine Tochter mir dann auch noch zu allem Überfluss sagte: „Mama, du bist so gestresst, fahr mal runter“, hätte ich sie am liebsten erwürgt.

Alles in mir schrie: „Warum bin ich wohl so gestresst? Woran mag das wohl liegen?“ Das hat mich im ersten Moment unendlich getroffen und dann zum Nachdenken gebracht.
War ich wirklich so schlimm?

Ja, war ich!

Also, was kann ich ändern? Und schon wieder tat sich ein riesiger Berg vor mir auf, den ich auch noch zu bewältigen hatte.

Aber Moment mal! Muss ich den wirklich bewältigen? Oder kann ich einfach drum rumgehen? Schaffe ich es vielleicht, meine innere Einstellung zu ändern, um dem Stress im Alltag besser gewachsen zu sein?

Aber wie stelle ich das an?

In dem Moment, in dem ich das Gas rausgenommen hatte, taten sich unendlich viele Möglichkeiten für mich auf. Klar ließ sich nicht alles umsetzen, nicht sofort und nicht reibungslos, aber stetig und mit immer größerem Erfolg.

Die wichtigste Entscheidung war, mir meine Tage stressfreier zu planen. Zeit für Unvorhergesehenes einzuplanen, mir einen stressfreien Tag pro Woche zu gönnen, an dem ich nur die Dinge mache, zu denen ich Lust habe – dazu gehört auch, manchmal die Waschmaschine anzuschmeißen, wenn ich weiß, das bringt mich am nächsten Tag weniger in Stress.

Dann begann ich mich bewusster zu ernähren. Mir auch für die kleine Tasse Tee oder Kaffee zwischendurch Zeit zu nehmen und mich hinzusetzen und vielleicht ein paar Seiten in meinem Buch zu lesen oder einfach nur den Wolken zuzuschauen.

Der Spruch: "Du bist, was du ißt" ist nicht ohne und ich merkte immer mehr, dass er auch auf mich zutraf. Ich kam mehr und mehr in meine Energie, in meine Kraft zurück. Ich begann wieder Energiereserven zu bilden. Wow!

Ich band meinen Mann und meine noch zu Hause lebende Tochter mit in die Haushaltsarbeit mit ein, schließlich mache ich ja nicht alles alleine dreckig 😊.
Und - es funktioniert. Wir teilen uns mittlerweile den Haushalt und es ist für mich viel entspannter.

Zwar darf ich noch lernen geduldiger zu sein und auch Dinge so anzunehmen wie die beiden sie machen, aber das wird schon.
Geduld, das ist auch so ein Schlüsselwort. Geduldig sein mit sich selbst und mit anderen. Je mehr ich Druck ausübe, umso weniger komme ich voran.

Viel haben mir natürlich auch Gespräche und Therapieansätze meiner Kollegen geholfen, alleine würde ich vermutlich immer noch im Viereck springen.

Das war auch ein ganz wichtiger Punkt für mich zu erkennen und dann auch umzusetzen, sich anderen anzuvertrauen, mit anderen zu sprechen und dabei auch mal den Kopf zurecht gerückt zu bekommen. Am Anfang dachte ich, das kann ich mir jetzt nicht auch noch leisten, aber hej, ich investiere doch in mich, meine Gesundheit und mein Wohlergehen. Über viele Monate habe ich regelmäßig Hilfe in Anspruch genommen und es hat immer gereicht.

Achtsamkeit ist so ein großes Wort. Dabei fängt es im ganz Kleinen an. Wenn ich nicht nur im Aktionsmodus laufe, sondern mir die Blume am Wegrand wieder auffällt, dann habe ich schon viel geschafft.

Ich war auf vielen Schulungen und Seminaren und dachte immer, die haben es geschafft, das schaffst du nie, oder, wenn ich mich denen öffne, dann höre ich nur wieder, wenn du es so oder so machst, dann…

Ganz ehrlich, das hat mich manchmal so wütend gemacht, ich dachte, die haben doch keine Ahnung, was ich alles tun und leisten muss, die kennen jetzt doch nur einen Bruchteil meines Lebens.

Und doch hatte jeder von ihnen in seinem Ansatz recht. Alles zusammen genommen, alles was ich dort gelernt habe, in Büchern gelesen habe, mit Therapeuten und Beratern besprochen habe, hat mich ein Stück weiter zu meinem ganz eigenen Weg gebracht.

Für mich war es wichtig zu erkennen, dass ich nicht den Weg der anderen gehen kann, denn das wäre nicht mein Weg und zum Scheitern verurteilt. Für mich war und ist es wichtig zu erkennen, dass ich meinen eigenen Weg finden darf und diesen mit viel Liebe gehen darf.

Auch zu erkennen, dass ich mich unendlich schwer damit tue, Gefühle zu spüren; in die Vorstellungskraft zu gehen, hat Druck herausgenommen. Es anzunehmen, dass ich es in dem Moment eben nicht schaffe, vielleicht nie so gut schaffe wie alle anderen, hat mir Freiraum gegeben.

Ausgebrannt – ja, ich stand kurz davor.

Jetzt bin ich wieder neugierig aufs Leben, neugierig, was ich noch schaffen kann und voller Hoffnung, dass ich auch mit meinen Ängsten lerne umzugehen und sie überwinden kann.

Und du schaffst das auch – da bin ich ganz sicher!

Deine Iris

Über die Autorin

Ich bin unter anderem ausgebildeter Raindrop Practitioner, MindFlow Expert und Trainer, Stressmanagementtrainerin, Coach, Systemische Beraterin und Trauerpädagogin.
Für mich steht der Mensch im Vordergrund mit all seinen Facetten.
Für meine Klienten bin ich eine Ansprechpartnerin auf Augenhöhe und unterstütze bei körperlichen, geistigen und seelischen Themen, dabei bestimmen meine Klienten das Tempo.
Nichts muss, alles darf.